's Heftpflaster

    's Heftpflaster 03/22

    Interview Marco Grob, leitender Apotheker
    Übersetzung Feng-Po Ho Thomas, Geschäftsführerin Medi-Yi Gesundheitspraxis

    Top Thema, Gesundheit

    In Balance

    Die traditionelle chinesische Medizin kennt andere Behandlungsmethoden als die hiesige Schulmedizin. Worin sich die beiden unterscheiden und ergänzen, diskutiert Marco Grob mit Herr Zhang von Medi-Yi Gesundheitspraxis.

    Was lehrt die traditionelle chinesische Medizin, kurz TCM, und wie werden gesundheitliche Beschwerden behandelt?

    In der traditionellen chinesischen Medizin ist die Lebensenergie Qi von zentraler Bedeutung. Sie fliesst auf Energiebahnen, sogenannten Meridianen, durch den Körper und die Umwelt, die wiederum Organe vernetzen. Die beiden entgegengesetzten Energien Yin und Yang wohnen jedem Ereignis, jedem Lebewesen und jedem Ding inne. Wenn die beiden nicht mehr in Balance sind, dann blockieren sie Qi. Dies löst Beschwerden aus. Auch Verletzungen, die Ernährung oder Emotionen können die Meridiane blockieren und somit Qi beeinflussen. Insbesondere (negative) Emotionen beeinflussen Qi stark und geniessen deshalb eine hohe Aufmerksamkeit in der TCM. Beispielsweise können wälzende Gedanken oder innere Unruhe Yin und Yang aus dem Gleichgewicht bringen und Schlaflosigkeit oder Verdauungsstörungen auslösen. Oder zu viele Emotionen führen zu einer hohen Konzentration von Energie im Kopf, diese fehlt nun anderswo im Körper und kann zum Beispiel Bauchschmerzen nach sich ziehen.

    Auf den ersten Blick scheint sich die TCM stark von der westlichen Schulmedizin zu unterscheiden. Gibt es dennoch Überschneidungen?

    Grundsätzlich handelt es sich bei der TCM und der Schulmedizin um zwei unterschiedliche Behandlungslehren. In der Schulmedizin wird eine sofortige Wirkung angestrebt, während TCM versucht, der Ursache einer gesundheitlichen Beschwerde auf den Grund zu gehen. Ziel einer Behandlung kann ein langfristiger Stressabbau sein, der durch das Ausleiten von negativer Energie erfolgt. Das bringt Yin und Yang wieder ins Gleichgewicht.

    In der Schulmedizin werden Kopfschmerzen oder Migränen in Form einer Akuttherapie behandelt, bei der Medikationen auf den Patienten abgestimmt werden. Dies sind vorrangig Medikamente zur Schmerzlinderung oder solche, die zur Entspannung beitragen. Oftmals wird dafür auch Magnesium eingesetzt. Wie werden Kopfschmerzen und Migräne in der TCM behandelt?

    Als Erstes wird in der TCM versucht, die Ursache der Kopfschmerzen oder der Migräne herauszufinden. Es gibt viele mögliche Ursachen und abhängig von ihnen verläuft die Behandlung anders. Ursachen können eine frühere Verletzung, das Wetter – kalter Wind im Winter – oder Stress sein. Bei Frauen sind zudem hormonelle Schwankungen häufige Auslöser von Migräne. Ein wichtiges Instrument zur Ursachenerkennung ist die Pulsdiagnose. Hierbei wird der Puls an beiden Handgelenken an drei unterschiedlichen Punkten und auf je drei Ebenen ertastet. So erfahre ich, welche Meridiane blockiert sind und woher die Beschwerden folglich kommen. Basierend auf diesen Erkenntnissen behandle ich den Patienten oder die Patientin mit einer abgestimmten Kombination aus Akupunktur, Schröpfen und Kräutertherapie.

    Wie könnte eine Behandlung von Kopfschmerzen oder Migräne aussehen, welche die beiden medizinischen Schulen verbindet?

    Die beiden Lehren ergänzen sich im Hinblick auf die Behandlung von Kopfschmerzen sehr gut. Bei akuten Symptomen kann mithilfe der Schulmedizin die Spitze der Beschwerden gebrochen werden, während die Patientin oder der Patient kontinuierlich mit Methoden der TCM behandelt wird, bis die Medikamente der Schulmedizin nicht mehr nötig sind. Um die Beschwerden langfristig zu lindern, muss der ursprüngliche Grund der Beschwerden gefunden und behoben werden. Nur dann kann Qi wieder fliessen. Jeder Fall von Migräne oder Kopfschmerzen ist individuell, aber gerade bei Migräne beobachten wir sehr gute Ergebnisse. Vielen Frauen, die aufgrund wöchentlich auftretender Migräne mit Aura und Erbrechen bei uns waren, ging es nach der TCM-Behandlung viel besser.

    Verzögert sich der Behandlungserfolg, wenn die Beschwerden bereits länger anhalten?

    Lang ertragene Beschwerden können die Behandlungsdauer durchaus beeinflussen. Dies liegt daran, dass die Ursache oft komplexer und tiefer liegt als bei nicht-chronischen Beschwerden. Auch der Lebensstil hat massgeblich Einfluss, wie schnell und gut eine Therapie anschlägt. Viele Menschen haben zum Beispiel Mühe, die Arbeit mental am Arbeitsplatz zu lassen. In der Nacht wälzen sie Pro- bleme und bekommen in der Folge emotional bedingte Beschwerden. Viele wollen nicht einsehen, dass sie ihren Lebensstil ändern sollten. Wenn ich eine Kräutermischung verschreibe, dann muss diese so eingenommen werden, wie ich es verordne. Oder wenn ich den Rat gebe, schlafen zu gehen, ist das Teil der Therapie. Wird dies nicht eingehalten, lässt auch der Therapieerfolg auf sich warten.

    Bei Kopfschmerzen und Migräne schicke ich die Patienten auch in die Abklärung zu einem Facharzt und lasse sie dort beispielsweise ein MRI machen. So soll ausgeschlossen werden, dass nicht ein akutes oder funktionelles Problem vorliegt.

    In der Schulmedizin gibt es häufig Nebenwirkungen. Ist das in der TCM auch der Fall?

    Nebenwirkungen kennt man in der TCM nicht, denn die Behandlung basiert auf der eigenen Körperenergie. Während der Therapiezeit kann es aber durchaus zu Schwankungen des Wohlbefindens kommen, weil eine Abhängigkeit abgebaut werden muss.

    Wie wird die TCM in der westlichen Welt wahr- und angenommen?

    Viele verstehen nicht, was TCM ist und wie sie arbeitet. Diese Missverständnisse können zu Vorurteilen führen. Es ist immer wieder schön zu erleben, wie Behandlungserfolge im Laufe der Therapie Patienten von der Wirkung der TCM überzeugen können. Sie fassen Vertrauen und spüren, dass ihnen die TCM hilft. Aufgrund solcher positiven Erlebnisse wird unsere Praxis auch weiterempfohlen. Mittlerweile kamen 90 % unserer Patienten dank Weiterempfehlungen zu uns. Unsere Aufgabe basiert nicht nur auf dem medizinischen Hintergrund, sondern liegt auch in der kulturellen Überlieferung der TCM und dem interkulturellen Austausch zwischen den Lehren.

    In der TCM ist die ganzheitliche Ursachenabklärung essenziell, deshalb wird immer der ganze Körper angeschaut. Oftmals geht es bei der TCM auch um Prävention und Reaktion, bevor Symptome auftreten.

    In dieser Hinsicht muss in unserer Kultur ein Umdenken stattfinden, nur so gewinnen präventive Behandlungen an Wichtigkeit. Es gilt, die Zusammenarbeit zwischen den Lehren zu stärken, um eine bessere Betreuung der Patienten zu erzielen.

    Volksapotheke hilft

    Bei Fragen rund um Ihre Gesundheit sind die Mitarbeitenden der Volksapotheke Ihre erste Anlaufstelle – fachkundig, persönlich und diskret.

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