Dr. med. (MX) Rosario Gonzalez Cardenas ist Augenärztin am Augenzentrum OnO in Schaffhausen. Im Gespräch erzählt sie von ihrem ungewöhnlichen Weg aus Mexiko in die Schweiz, der wachsenden Herausforderung durch zunehmende Kurzsichtigkeit bei Kindern – und davon, warum eine Brille kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Schutz für die Augen ist.
Zur PersonDr. med. (MX) Rosario Gonzalez Cardenas ist Fachärztin für Augenheilkunde und seit mehreren Jahren am Augenzentrum OnO in Schaffhausen tätig. Mehr erfahren unter: https://www.augenzentrum-ono.ch/ |
Ich stamme ursprünglich aus Mexiko, dort habe ich Medizin studiert und mich in der Augenheilkunde spezialisiert. Anders als in der Schweiz operierten wir in Mexiko schon sehr früh – das hat mich fasziniert. Nach einigen Jahren in der Klinik lernte ich meinen heutigen Mann kennen, einen Schweizer, der damals mit dem Velo durch die Welt reiste. Wir lebten zunächst in Mexiko-Stadt, aber durch zunehmende Unsicherheiten im Land zogen wir mit unseren Kindern erst in den Norden Mexikos nach Baja California und schliesslich in die Schweiz.
Die Sprache war anfangs eine riesige Hürde, aber ich wollte mich beruflich nicht aufgeben. Ich machte eine neue Facharztausbildung, arbeitete in verschiedenen Kliniken – von Aarau bis Bern – und bin heute im Augenzentrum OnO in Schaffhausen tätig. Dort bin ich insbesondere für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen zuständig. Das ist oft anspruchsvoll: Kinder lassen sich nicht immer leicht untersuchen, man braucht viel Geduld, Einfühlungsvermögen – und man muss sie einfach gernhaben. Genau das ist meine Stärke.
In der Schweiz ist die erste Kontrolle beim Kinderarzt vorgesehen. Wenn dort Auffälligkeiten erkannt werden, erfolgt eine Überweisung zur Spezialistin. Solche Auffälligkeiten können sich als weisser Pupillenreflex, Schielen oder generell auffälliges Sehverhalten äussern. Wichtig ist: Auch wenn das Kind keine Symptome zeigt, können Probleme bestehen – etwa bei einseitiger Fehlsichtigkeit. Das Kind kompensiert dann mit dem besseren Auge, das schlechtere wird «vergessen». Das kann langfristig zu einer Sehschwäche führen. Wenn Eltern feststellen, dass ihr Kind sich häufig an Objekten stösst, Gegenstände nicht ordentlich greifen kann oder kein Interesse an visuellen Reizen zeigt, sollten sie direkt einen Augenarzt konsultieren.
Kurzsichtigkeit – also die Schwierigkeit, in die Ferne scharf zu sehen – nimmt bei Kindern weltweit stark zu. Je früher sie beginnt, desto grösser ist das Risiko für spätere Komplikationen. Sie entsteht, wenn das Auge «zu lang» wird – das Bild landet vor der Netzhaut und erscheint unscharf. Die Ursache dafür ist meist ein Zusammenspiel aus genetischer Veranlagung und Umweltfaktoren: Kinder verbringen heute deutlich mehr Zeit im Nahbereich – mit Büchern, Tablets oder Schulmaterial – und weniger draussen an der frischen Luft. Das wirkt sich negativ auf das Wachstum des Auges aus.
Eine normale Brille korrigiert das Bild in der Mitte, sodass das Kind wieder scharf sieht. Aber am Rand – in der sogenannten peripheren Netzhaut – signalisiert die Korrektur dem Auge: «Du bist zu klein – wachse weiter!» Gerade bei Kindern ist das problematisch, weil sich ihr Auge noch im Wachstum befindet. Durch diese Fehlinterpretation wächst es unnötig weiter – die Kurzsichtigkeit nimmt zu.
Moderne Defokus-Linsen wirken dem entgegen. Sie haben spezielle Zonen, die dem Auge vermitteln: «Du bist gross genug – wachse nicht weiter.» Sie geben also nicht nur optische Schärfe, sondern steuern auch die Wachstumsreize gezielt. Das Fortschreiten lässt sich damit bremsen, heilen kann man die Kurzsichtigkeit aber nicht. Aber je früher die Kurzsichtigkeit erkannt und behandelt wird, desto besser ist die Sehleistung für das spätere Leben.
Viel Zeit im Freien! Studien zeigen: Mindestens zwei Stunden Tageslicht täglich reduzieren das Risiko. Draussen schaut man öfter in die Ferne – das trainiert das Auge. Heute verbringen Kinder viel Zeit im Nahbereich – beim Lesen, am Bildschirm. Das fördert das Augenwachstum und damit das Risiko für Kurzsichtigkeit. Deshalb mein Tipp: raus an die frische Luft. Das stärkt nicht nur die Augen, sondern auch das allgemeine Wohlbefinden.
Digitale Medien gehören heute zum Alltag – in der Schule und zuhause. Das Problem ist nicht das Gerät selbst, sondern die Dauer, die Nähe und die fehlenden Pausen. Gerade bei Kleinkindern unter sechs Jahren sollten Bildschirme sehr vorsichtig eingesetzt werden. Ihr Sehsystem entwickelt sich noch. Wer ständig auf ein Handy oder Tablet schaut, gibt dem Auge kaum Gelegenheit, sich zu erholen.
Auch wichtig: die richtige Körperhaltung, regelmässige Unterbrechungen und gute Beleuchtung. Wenn das Licht zu schwach ist, verkrampfen sich die Augen zusätzlich. Eine einfache Regel hilft: alle 20 Minuten für 20 Sekunden mindestens 20 Meter in die Ferne schauen – die sogenannte 20-20-20-Regel.
Fehlsichtigkeiten sind das häufigste Thema – also Weitsichtigkeit, Kurzsichtigkeit oder Astigmatismus (Hornhautverkrümmung). Dazu kommen Bindehautentzündungen, meist bakteriell oder allergisch bedingt. Gerade in Krippen oder Schulen verbreiten sich diese schnell. Auch kleine Verletzungen durch Spielzeug oder Sand sind häufig.
Selten, aber gefährlich, sind entzündliche Erkrankungen wie Uveitis (Entzündung der Regenbogenhaut) oder Infektionen wie Toxoplasmose. Sie verlaufen bei Kindern oft unauffällig, können aber schwere Schäden verursachen. Auffällige Lichtempfindlichkeit, Augenschmerzen oder ständiges Blinzeln sollten immer abgeklärt werden.
Ein häufiges Vorurteil lautet: «Mit Brille wird alles schlimmer.» Dieser Eindruck entsteht oft, weil Kinder ohne Brille scheinbar gut sehen – dabei gleichen ihre Augen die Fehlsichtigkeit durch ständige Überanstrengung aus. Das kindliche Sehsystem ist sehr anpassungsfähig und versucht, Unschärfen selbst zu korrigieren. Doch dieser ständige Ausgleich kostet Kraft: Die Kinder sind müde, unkonzentriert oder klagen über Kopfschmerzen.
Wird dann eine Brille verschrieben, entspannen sich die Augen – die Beschwerden verschwinden. Doch nun fällt den Eltern auf: Das Kind sieht ohne Brille plötzlich schlechter als vorher. Das liegt nicht daran, dass die Brille das Sehen verschlechtert hätte. Sondern daran, dass das Auge nicht mehr überkorrigiert. Die scheinbare Verschlechterung ist in Wahrheit ein Zeichen dafür, dass das Auge sich nicht mehr überanstrengt. Genau das ist medizinisch sinnvoll.
Eine Brille ist deshalb keine Schwäche, sondern eine gezielte Unterstützung. Sie sorgt dafür, dass das visuelle System gesund arbeiten kann, ohne unnötige Belastung. Gerade bei Kindern ist das wichtig, denn eine dauerhafte Überforderung des Sehens kann langfristige Folgen haben.
Neben Bewegung und Tageslicht ist auch Ernährung wichtig. Eine mediterrane Ernährung – mit viel Gemüse, gesunden Fetten, wenig Zucker – unterstützt die gesunde Augenentwicklung. Und bitte nicht rauchen! Besonders nicht in der Nähe von Kindern. Passivrauchen schadet den Augen generell und Kinderaugen im Speziellen.
Vertrauen Sie Ihrem Gefühl. Niemand kennt Ihr Kind besser als Sie. Wenn Sie das Gefühl haben, etwas stimmt nicht, holen Sie eine fachliche Meinung ein. Gerade dann wenn sich das Kind noch nicht ausdrücken kann. In der Kinderaugenheilkunde gilt: Je früher, desto besser. Viele Probleme lassen sich gut behandeln, wenn sie rechtzeitig erkannt werden.
Und vielleicht das Wichtigste: Nehmen Sie die Augengesundheit ernst. Denn gutes Sehen bedeutet nicht nur scharfes Bild – es bedeutet Teilhabe, Lernen, Sicherheit und Lebensfreude.